Alljährlich steht sie im Mittelpunkt jägerischer Diskussionen – die Setzzeit des Rehwildes. Sie ist gleichsam die hohe Zeit der Fragen, Vermutungen, Mythen, Märchen und Gerüchte. Hinzu kommt von einigen Zunftgenossen die bemerkenswerte Eigenschaft, seltene Ausnahmen und Einzelbeobachtungen zur allgemeingültigen Regel zu erklären.
Nur weil man ein Kitz bereits Ende April oder Anfang Mai gefunden oder beobachtet hat, muss es nicht gleich das Jahr der „Frühgeburten“ werden. Spätestens die zahlreichen noch Anfang Juni hochbeschlagenen Ricken beweisen das Gegenteil. Genauso wenig werden oder wurden „in diesem Jahr“ ganz überwiegend Bockkitze gesetzt, nur weil die ersten drei beobachteten Jungtiere männlich waren …
Ebenso umfangreiche wie seriöse Forschungsarbeiten zeigen uns, dass der Höhepunkt der Setzzeit im langjährigen Mittel in die Monatswende Mai / Juni fällt. In einem Jahr war es der 27. Mai, im nächsten der 3. Juni usw.. Letztlich erstreckt sich die Setzzeit alljährlich über denselben Zeitraum, nur die Höhepunkte verschieben sich. Dies vor dem Hintergrund, dass sich die Kernzeit mit dem jeweiligen Beginn der Vegetationsperiode etwas nach vorn oder hinten verschieben kann.
Weiterhin zeigt sich, dass das Geschlechterverhältnis bei der Geburt der Kitze noch immer und unverändert recht konstant und in schöner Regelmäßigkeit um etwa 1:1 herum schwankt. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass ein Jäger in seinem 50 Hektar großen Pirschbezirk „in diesem Jahr“ vier Bockkitze und nur zwei weibliche Jahrgangsgenossen beobachtet hat (GV: 2:1). Jenseits der Reviergrenzen und darüber hinaus wird es sich eben doch auf einen Mittelwert von etwa 1:1 einpendeln. Im einen Jahr auf 1:0,8 im nächsten Jahr vielleicht auf 0,9:1 usw..
Auch besteht keineswegs Grund zur Beunruhigung, wenn von fünf im August oder zum Beginn der Jagdzeit im September beobachteten Ricken, nur eine Zwillingskitze führt. Denn die anderen können ebenfalls Zwillinge, eine vielleicht gar Drillinge gesetzt haben. Doch wurde ein Kitz vom Fuchs oder Wolf gegriffen, dass andere von Sauen, eines ging an Durchfall ein und ein weiteres wurde ausgemäht oder bereits überfahren. Momentaufnahmen sind auch im Jagdrevier schlechte Ratgeber! Und statistisch gesicherte Aussagen sind bekanntlich erst bei einem entsprechend großen Stichprobenumfang möglich.
Dabei sollten wir immer bedenken, dass wir bei unseren Beobachtungen und Ansitzen nur einen sehr geringen Flächenanteil in einem mindestens ebenso begrenzten Zeitfenster erfassen. Das ganz überwiegende Geschehen in freier Wildbahn entzieht sich somit unserer Kenntnis! Daran ändert auch der Einsatz von Wildkameras und Nachtsichttechnik wenig bis gar nichts. Selbst ein „zeitlich privilegierter“ und reviernah wohnender Jäger, der an 100 Tagen im Jahr für jeweils drei Stunden im Revier ist, bringt es gerade mal auf etwa 3,4 % der Gesamtzeit. Noch Fragen? Und Hand aufs Herz – wer von uns hat schon einmal eine Ricke beim Setzen beobachtet …?
Munter bleiben! AD